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ABS-Systeme werden immer besser …

Ich war immer skeptisch: Neuerungen, die über eine Werbeabteilung einer Motorradmarke in die Welt hinausposaunt werden, versuchen dem Leser immer zu suggerieren, dass mit dem neuen System das Töfffahren «dubeli-sicher» werde. Als BMW das erste ABS vorstellte, hatten wir in Deutschland einen Kongress, wo der Zuständige der Hochschule uns erzählte, dass er die meisten seiner Studenten im Moment im Spital hätte: Sie hätten ABS-Testserien im Kurvenfahren gefahren und kaum einer sei heil davongekommen.



Von den Anfängen des ABS bei Motorrädern

Es war BMW, der als erster Motorradproduzent ein hydraulisch geregeltes ABS-System in seine Motorräder baute. Vorher gab es Versuche mit einem englischen, hydro-mechanisch gesteuertes System von Lucas-Girling, welches eingebaut bei Motorrädern aber nicht zum anvisierten Erfolg führte. In der zweiten Hälfte der 80er-Jahre wurden die BMW-Modelle immer sportlicher, kräftiger und schneller. So verbauten sie inzwischen die als sehr zupackend berüchtigten italienischen Brembo-Bremsen. Sie bremsten sehr gut, aber es gab praktisch keinen Übergangsbereich: Entweder volle Wirkung oder gar keine. Sie erkannten den Bedarf, die Regelung dieser leistungsstarken Bremsen nicht mehr dem Fahrer, sondern dem vom aus der Automobil-Branche bekannten ABS-System zu überlassen. Allerdings hatten sie den falschen Partner gewählt für ihr ehrgeiziges Projekt, innerhalb von 2 Jahren auf dem Markt zu sein: Bosch bot 5 Jahre an als Entwicklungsziel bis zur Serienreife und der Unterlieferant von Bosch, Kugelfischer liess sich von den BMW-Gewaltigen überreden, ein eigenes Projekt zu starten und in zwei Jahren auf dem Markt zu sein.

Ausgangslage: Un-dosierbare Brembo-Bremse


Die R80ST, das Parallelmodell der G/S, ausgerüstet mit Doppel-Scheibenbremse war fast nicht «zu bremsen»: Entweder alles - oder nichts! Ich erinnere mich an Kies-Bremsübungen, die Fahrschüler mit einer solchen Maschine waren total überfordert: Da nützte es ihm wenig, wenn ihm der (erfahrene) Fahrlehrer vor-demonstrierte, dass es doch geht ...

Als ERSTE am Markt - mit 1jähriger Verzögerung

Sie stellten es der Öffentlichkeit auch nach zwei Jahren vor: Die Bremsung sah eher nach einem «Rodeo-Ritt» denn nach einer effizienten Verzögerung aus! Nach dem Blockieren des Vorderrades öffnete die Hydraulik und liess das Rad eine Dreiviertel-Drehung ungebremst machen, bevor es wieder zubiss. So tauchte die Gabel ständig auf und ab und jeder normale Töfffahrer hätte aus lauter Schreck die soeben betätigte Bremse wieder losgelassen. Das zweite System, welches schneller regulierte, musste nach seiner Markteinführung wieder vom Markt genommen werden, weil es nicht zuverlässig arbeitete. Die Auslieferung des neuen Systems verzögerte sich wieder um mehrere Monate.

1991: Yamaha bringt die FJ1200 mit ABS  1992: Honda zieht nach mit der ST1100 Pan Eurpean 


Japaner starten mit «Versuchsträgern»

Nach dem Vorpreschen von BMW kamen auch die Japaner mit ABS-Systemen auf den Markt: Im Jahr 1991 rüstete Yamaha ihren grossen Tourer FJ1200 A mit einer Eigenentwicklung aus, die auch in ihrem Aushängeschild 1992 vorgestellten, mit einer Achsschenkellenkung ausgerüsteten GTS 1000, welche in vielem ihrer Zeit voraus war, Verwendung fand. 1992 fand sich an der Honda ST1100 ein erstes von Nissin entwickeltes ABS, ab 1996 als CBS/ABS-System kombiniert mit TCS (Antischlupf). 1996 rüstete Kawasaki ihre GPZ 1100 mit ABS aus. Die Japaner hatten also alle einen Versuchsträger im Programm, ohne dass sie allerdings an dessen Zukunft glaubten. Im direkten Vergleich kam jeweils BMW schlecht weg und, schon damals, stand in der MOTORRAD-Zeitung, dass BMW bereits das bessere System in der Pipeline hätte. Inzwischen gab es alle BMW-Maschinen ausgerüstet mit ABS, aber immer als Option, d.h. der Kunde musste extra bezahlen. Erwähnen möchte ich, dass ich im Jahr 2000 mit der neusten Version der GL1800, der GoldWing von Honda, das serienmässig verbaute ABS am Julier-Pass ausprobierte: Es regelte so dezent, dass ich es kaum wahrnehmen konnte – dies natürlich in der Kombination mit der Combinated Brake.

Erfolg der Europäer zwingt zum Handeln

Die allgemeine Situation gegenüber den ABS-Systemen änderte sich erst in einer japanischen Modell-Offensive in den Jahren nach 2003: BMW und Triumph, ebenso Ducati waren zu dieser Zeit auf den europäischen Schauplätzen zu echten Konkurrenten geworden und begannen, den Japanern das Wasser abzugraben. Die Japaner konterten mit preisgünstigen, alltagstauglichen und vollausgerüsteten Maschinen, so Honda mit den CBF-Modellen. Zwar waren die ABS-Systeme eher von der billigeren Sorte, aber sie konnten es in diesem Preissegment problemlos mit BMW aufnehmen. Zwar mussten die Yamaha- und Suzuki-Händler ihre Kunden noch etwas vertrösten, aber ab 2007 war praktisch jedes Modell zumindest gegen Aufpreis mit diesem Sicherheitsfeature versehen. 2007 kam Honda mit der neusten ABS-Generation in der Hornet auf den Markt, da wurde aufgezeigt, wie gut ein solches System funktionieren kann und setzte die Messlatte für alle übrigen Hersteller: Noch blieben aber gewisse Hersteller untätig, insbesondere Harley und Ducati. Ducati hatte zwar bissige ABS-System eingebaut, nur fehlte ihnen der Überschlagsschutz: Wer zaghaft in die Bremsen langte, konnte sich überschlagen! Dies war unter anderem auch dem Fortschritt bei den Reifen zu verdanken. Diese bauten Grip auf wie nie zuvor, das heisst, dass mit diesen Systemen dem Kunden nicht wirklich geholfen wurde und das Töfffahren so wenig wie zuvor «dubeli-sicher» geworden war!

Nächste Stufe: Rennstrecken-taugliches Sport-ABS

2009 legte Honda nochmals einen Zacken zu: Für die Sport-Modelle CBR900 und CBR 600 präsentierten sie das Sport-ABS, welches Rennstrecken-tauglich geworden war: Sensoren konnten inzwischen erkennen, wenn das Hinterrad abhob und liessen den Bremsdruck am Vorderrad fallen, bis wieder beide Räder ihre Daten ans System lieferten. Das war das erste Mal, dass ich in allen Zeitschriften einheitlich positive Kommentare lesen konnte. Dieses System setzte selbst kritische Stimmen ausser Gefecht und ich erkannte, dass nun langsam die Zeit anbrechen würde, dass ich der Erfindung «ABS an Motorrädern» den Fortschritt zubilligen konnte, der vorher von vielen einfach nur herbeigeredet wurde: Schliesslich können Motorradzeitschriften auch nur Werbung schalten, wenn sie in den Kanon ihrer Kunden einstimmen. Solche Sport-ABS gibt es inzwischen bei allen Herstellern von Sportmotorrädern und die letzte Bastion bei Yamaha wird mit einer neuen R1 ebenfalls fallen. Sie waren die einzigen, die immer noch behaupteten, dass eine richtige Sportmaschine eben noch vom Fahrer ohne Fahrhilfen gefahren werden muss, während es alle übrigen, allen voran die Technik-gläubigen von BMW, ihren Kunden nicht mehr zutrauten, mit den enormen Leistungen ihrer Sportskanonen ohne entsprechende Assistenz-Systeme zu agieren.

KTM wird aktiv und überholt die Konkurrenz

Nun, so wie es scheint, ist nun die letzte Evolutions-Stufe erreicht: Auf der Basis bisheriger Ausrüstung mit Schräglagen- und Nickwinkel- Sensor, die bisher nur für die Traktionskontrolle gebraucht wurde, hat Bosch zusammen mit KTM ein System entwickelt, das mithilfe eines Rechners immer nur die im Moment mögliche Maximal-Bremsung zulässt. Dem Aufstellmoment durch das gebremste Vorderrad wird durch eine zusätzliche Bremsung am Hinterrad entgegengewirkt. Natürlich kann dieses System nur innerhalb der physikalischen Möglichkeiten wirken, d.h. wer zu schnell in eine Kurve fährt, kann zwar in der Kurve bremsen, ohne dass er gleich auf der Nase liegt, aber vielleicht stimmt der Radius der Kurve dann in der Realität immer noch nicht den Gegebenheiten und der Fahrer landet trotzdem im Gegenverkehr … Dubeli-sicheres Fahren wird es auch in Zukunft weder auf 4 noch auf 2 Rädern geben. Ich erinnere mich immer gerne an den Spruch von Jacques Cornu: «Wennd zgschnäu bisch, denn bisch eifach zgschnäu – da cha ou de bescht Rennfahrer nüt dra ändere!»

Ab Modelljg. 2014 serienmässig, update für 2013er

Die KTM 1190 Adventure ab Jahrgang 2014 wird serienmässig mit dieser neusten ABS-Stufe ausgerüstet und alle Fahrer einer Adventure mit Jahrgang 2013 können dieses Software-Paket nachträglich erwerben: Ihre Maschinen haben alle die Ausrüstung bereits an Bord, nur wurde sie noch nicht MSC (motorcycle stabilisation control)-mässig genützt. Auch anderen Anbietern wird dieses von KTM mit der japanischen Niederlassung von Bosch in Japan entwickelte System für die Zukunft zur Verfügung stehen. KTM hat sich jahrelang gegen ABS-Systeme gewehrt, musste aber aufgrund der Bedeutung des deutschen Markts sich der Marksituation beugen: Sie gaben sich aber nicht damit zufrieden, sondern gingen einen Schritt weiter, die bis anhin kurven-untauglichen ABS-Systeme beim Kurvenbremsen weiterzuentwickeln und wurden nun fündig: Damit gibt es keine Argumente mehr gegen die ABS-Systeme, zumindest nicht jene, die nun bei ausgewählten Modellen in der höchsten Preisklasse eingesetzt werden.

Demo-Video auf YOUTUBE: Klicke aufs Bild!  


Nun sind ALLE Hersteller gefragt: ABS f.jedermann!

Es ist zu hoffen, dass dieser Fortschritt bald auch in der Mittelklasse Einzug halten wird und den Weg schliesslich auch zu den billigsten Modellen, den Scootern, finden wird. Dann ist es erst der Segen, der uns von den Werbestrategen vieler Motorradmarken über Jahre hinweg fälschlicherweise vorgegaukelt wurde. Ich zitiere den Bericht von MSS 20/2013 Seite 28: «Lag man bei bisherigen ABS-Bremssystemen bei vollem Ankern in Schräglage bereits am Boden, bevor das System auf Rutscher reagieren konnte!»

Thalwil, den 6.Oktober 2013 Autor: Urs Tobler, 1.NUR-Töff-Fahrlehrer

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