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Eine erste kurze Schilderung meiner Eindrücke

Unser Ausflug im Sommer 2010 zur Nürburgring-Nordschleife war für mich «die Gelegenheit», die im letzten Frühling lancierte und seit dem Sommer in der Automatik-Version erhältliche neue Honda VFR 1200 FA auszutesten. Die Fahrt ging erst über die Autobahn, dann durch die Vogesen auf kleinsten Strassen, über grosse Landstrassen und schliesslich auf dem Rückweg über die deutsche Autobahn ohne Geschwindigkeitslimite zurück in die Schweiz: Auf der Nordschleife, der «Grünen Hölle», wie sie von Kennern genannt wird, konnte ich ihre Qualitäten beim Fahren hart am Limit austesten. Mich interessierte in erster Linie der neue «Automat», mit sequentieller Schaltung, der wahlweise in automatischen Modi oder auch manuell geschaltet gefahren werden kann. Die Elektronik erkennt anhand der Geschwindigkeit die notwendigen Gangstufen, sodass man beim Anhalten auch bei manueller Bedienung auf das Zurückschalten kann. Alle Schalthilfen, die bis heute von anderen Herstellern angeboten werden, waren eigentlich nur Kupplungsautomaten, die dem Fahrer das Kuppeln (zum Teil) abgenommen haben, mit Ausnahme der Automatikgetriebe (Variomatik) bei den Grossrollern oder der Aprilia Mana. Mich interessierte Hondas Konzept in erster Linie, weil ich seit nunmehr 20 Jahren auf eine GoldWing mit automatischem Getriebe warte. Sollte die GoldWing bei Gelegenheit mit diesem Doppelkupplungsgetriebe herauskommen, müsste ich mit ihr ausgiebig testfahren, um mich wirklich für den Automat zu entscheiden. Denn die neue VFR 1200 würde ich wohl ohne Automat ganz konventionell geschaltet kaufen.

Nun zu meinen Erfahrungen: Die VFR 1200 überzeugt durch ihren bärenstarken Motor, der diesen Sporttourer innert Kürze unspektakulär in für die Schweiz schwer verbotene Zonen katapultiert. Man sitzt im Motorrad, hat einen hervorragend Knieschluss, alles liegt aufgeräumt da, wie man es von Honda gewohnt ist. Der Automat schaltet im Normal-Modus Drive relativ früh, in tiefen Geschwindigkeiten akkustisch relativ laut durch die Gangstufen, so dass man sich nach wenigen Metern selbst in Tempo 50-Zonen innersorts bereits in der 5.Gangstufe befindet. Der Krafteinsatz kommt, beim Beschleunigen wie auch beim Bremsen, sanft und ist frei von Ruckelbewegungen, wie man es beispiels-
weise von der FJR 1300 von Yamaha mit elektrischer Kupplung kennt. Um diesem niedrigtourigen Fahren innerorts vorzubeugen, wählte ich innerorts meist den Sportmodus. Im Sportmodus werden die Gänge länger ausgefahren und erst zu einem späteren Zeitpunkt in den nächst höheren Gang geschaltet. Das ergibt bei Tempo 50 die dritte Gangstufe, diese beschleunigt und bremst sofort bei Bedarf angenehm. Das Automatik-Programm ist selbstlernend: Es passt sich also den Fahrgewohnheiten des Fahrers an. Vielleicht bin ich auch zuwenig konstant und regelmässig gefahren, da ich immer etwas auszuprobieren hatte.
Sehr erstaunt war ich beim Fahren in den Bergen: Ich bin wohl noch nie mit so wenig bremsen den Berg runter gefahren, denn die Maschine hat bereits nach der ersten bergab gefahrenen Kurve, bzw. dem ersten Brems- und Zurückschalt-Vorgang diesen erkannt und selbständig eingeleitet: Bremsen und zurückschalten, ganz von allein – fantastisch! Die Maschine selbst ist sportlich gefedert, zumindest mit meinem Gewicht wurde ich immer über den Fahrbahnzustand auf dem laufenden gehalten. Das Verhalten der Original-Reifen fand ich prima, ich spürte kaum Kräfte am Lenker beim Kurvenfahren, weder beim Bremsen noch beim Rausbeschleunigen. Die Fahrbarkeit dieses immer hin fast 270 Kilogramm wiegenden Sporttourers war die einer 200 kg schweren Sportmaschine ebenbürdig: Ich staune immer wieder von neuem, wie es Honda fertig bringt, sobald die Maschine mal fährt, das Gewicht zu kaschieren. Nicht umsonst gewinnen Honda-Maschinen in Vergleichstests immer die Wertung «Ausgewogenheit» – dies dürfte wohl auf die grosse Erfahrung des grössten Herstellers von motorisierten Zweirädern zurückzuführen sein. Egal ob man gemütlich tourt oder ob man es fliegen lässt, das Arrangement insgesamt ist hervorragend abgestimmt. Sobald es auf grosse Strassen, Autobahnen ging, ob Überland oder im Stadtverkehr, liess ich die Schaltarbeit vom Automatik-Getriebe verrichten und nur einmal griff ich beim Anhalten vor der Ampel ins Leere: Rein gewohnheitsmässig wollte ich beim Anhalten die Kupplung ziehen – da aber gibt es bei der FA-Version gar keinen Hebel!

Den Haupttest musste die neue VFR auf der holprigen Rennstrecke der Nürburgring-Nordschleife bestehen: Hier fand ich schnell heraus, dass es wenig Sinn macht, hier den Automaten zu verwenden! Nicht umsonst spricht man von einer Drittgang- oder Viertgang-Kurve, deshalb habe ich bald einmal nur noch die sequentielle Schaltung manuell bedient: Mit dem Zeigefinger da, wo normalerweise sich die Lichthupe bei einigen japanischen Motorrädern befindet, um hochzuschalten, und mit dem Daumen da, wo sich bei den BMW-Maschinen über Jahre hinweg der Betätigungsschalter für den linken Blinker befindet, um runterzuschalten. Die Schaltvorgänge selbst wurden blitzschnell und ohne spürbaren Ruck ausgeführt, sowohl beim Beschleunigen wie beim Bremsen. So schnell, wie beim Beschleunigen der nächste Gang drin ist, kann kein Rennfahrer manuell hochschalten. Insgesamt also ein überzeugendes Konzept.
Was das Fahrwerk und die Bremsen angeht, kann ich mich nicht beklagen: Die Kurven waren äusserst spurstabil, in hohen Geschwindigkeiten machte sich bei den gefahrenen Tempi auf der Rennstrecke die Schräglagenfreiheit, bzw. das Ende der Freiheit bemerkbar. Da es sich um einen Sporttourer und nicht um eine Sportmaschine handelt, wird sich im Realverkehr kaum jemand darüber aufregen. Die Bremsen sind dank CBS (combined brake system, zu deutsch: Kombi-Bremse, das heisst bei der Betätigung jeder einzelnen Bremse ist gleichzeitig die nichtbetätigte im Einsatz) sehr neutral bei sanfter Bedienung, bei starker Betätigung brutal effektiv: Ich konnte Vollbremsungen aus hohen Geschwindigkeiten im ABS-Bereich ausprobieren, dabei Versuche nur mit Fuss- , wie auch nur mit Handbremse. Honda bewegt sich mit dieser modernen Technik am Rande der physikalischen Grenzen.
Auf dem Nachhauseweg musste ich aus zeitlichen Gründen einen Teil über die deutsche Autobahn zurückfahren. Leider zogen sich Baustellen über Dutzende von Kilometern, so konnte ich nur auf kurzen Strecken so richtig Gas geben. Da die Honda von vorne sehr schlank und windschlüpfrig ist, geniesst man ein schlechtes Überholprestige. Das Durchzugsvermögen des kräftigen Motors hört selbst bei über 200 km/h noch lange nicht auf, trotz kurzem Anlauf konnte ich innert Kürze mehrmals über die 250er-Marke sprinten. Nach dem Grenzübertritt musste ich mein Temparament und die Honda-Pferdchen enorm zügeln: Zu gross wäre die Versuchung, sie locker laufen zu lassen! Eine so sportliche Maschine ist nichts für mich, da bleib ich besser bei meiner alten GoldWing…

Nun zu meinem Fazit: Die neue Honda VFR 1200 ist einmal mehr ein Meisterwerk. Die Käufer können davon ausgehen, dass diese Maschine ausgereift und ausgetestet wurde, bevor sie in Kundenhände gelangte. Dass bei ihrer Einführung im letzten Herbst bereits die Automaten-Variante angekündigt wurde, ist bestimmt ein riesiger Fehler des Marketings: Das Automatik-Modell hätte nach ein oder zwei Jahren dem erfolgreichen Modell nachfolgen sollen. So hat die Ankündigung den Verkaufsstart der «normalen» VFR vermasselt, wer kauft sich schon etwas neues, das bereits in ein paar Monaten veraltet sein könnte? So wurden schweizweit bisher erst wenige VFR verkauft. Dieser schlechte Verkaufserfolg hat diese Super-Maschine nicht verdient. Die Kritiken der Fachpresse waren hervorragend, alle waren begeistert: Die deutschen Fachjournalisten mit ihrer national blau-weiss gefärbten Sicht suchten vergeblich nach dem Haar in der Suppe.
Meine einzige Kritik geht an den mechanisch lauten Gangwechsel bei Innerortsgeschwindigkeit: Bei höheren Geschwindigkeiten werden die Geräusche vom Fahrtwind übertönt. Dies wäre der Grund, weshalb ich mir das Modell mit konventionellem Getriebe auswählen würde. Ich hoffe, dass wenn Honda diesen Antrieb auf die GoldWing-Modelle übertragen würde, die Geräuschkulisse mit den notwendigen Vorkehrungen (Ölmantel, usw.) reduziert wird. Sonst dürfte es kaum die gewünschte Anzahl Käufer finden.


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Einen ausführlichen Bericht zum Thema Automat findest Du hier

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