Ich durfte die Gelegenheit wahrnehmen, als ich die Maschine eines wegen Corona verhinderten Fahrschülers bei Müller&Jussel abholen ging, selbst mich auf diese gewaltige Maschine zu setzen und eine Probefahrt damit zu machen. Ein Mitarbeiter erklärte mir die Maschine, denn heute kann man nicht mehr einfach auf einen Töff sitzen und losfahren. Ich möchte nicht wissen, wie dick das Buch ist, die Bedienungsanleitung. Im Gegensatz zum Original, der R5 des Jahres 1936, welches für diese Maschine Pate gestanden ist, die wohl kaum eine Erklärung gebraucht hat! Nach der Erklärung der verschiedenen Knöpfe, die z.B. die verschiedenen Fahr-Modi bedient, drückte ich schliesslich auf den Starterknopf, welcher nur bei gezogener (Anti-Hopping-) Kupplung den Motor anwirft: Ein Schreck durchfährt meine Glieder, was war das? Im Moment des Anwerfens hat der Boxer-Motor mit seinem riesigen Drehmoment einen Schlag durch die sich drehende, langsliegende Kurbelwelle in der Querachse erteilt: Uff, das hätte man auch anders konstruieren können. Schon an der ersten GoldWing des Jahres 1974 rotierte die Lichtmaschine in der Gegenlaufrichtung, um das konzept-bedingte Drehmoment aufzuheben. Gute Lösungen könnte man doch abschauen, hat doch BMW Erfahrung im Boxer-Bau Laut Webseite seit 1923 ... Nun war ich natürlich gespannt, wie sich die Maschine im Fahren anfühlt. Entsprechend ihrer Bauweise mit tiefem Schwerpunkt, aber untypischer Cruiser-Sitzposition, gleitet man in recht aufrechter Sitzposition dahin. Im ersten Kreisel merke ich, dass sie sich in engen Kurven ziemlich unwillig gibt: Ob es wohl am langen Radstand liegt? In normalen Kurven macht sie keine Macken, nur ist die Schräglage von 30 Grad bis zum Aufsetzen der Fussrasten (35 Grad sollen es für den Auspuff sein) für meinen Geschmack etwas zu gering. Ich kann nicht entspannt Motorrad fahren, wenn ich vor jeder etwas engeren Kurve Angst haben muss, dass sie sich bei Bedarf nicht weiter abwinkeln lässt. Ich versuchte Strassen abseits des Verkehrs tzu benützen, um das Beschleunigungsvermögen auszutesten: Lässt man sie ganz runterfallen, unter 2000 U/min, dann sollte man den Gasgriff nicht einfach aufreissen. Aber die Zahlen sprechen für sich: Das Drehmoment eines solch Hubraumstarken Motors fällt eigentlich immer an. Es zieht, vor allem wenn man den Rock-Modus eingestellt hat, vehement in höhere Geschwindigkeiten, auch wenn man nie den wirklich harten Einsatz der Leistung (mit 91 PS auch eher genügsam, auf die Konkurrenz Harley 114 Kubik-Inch angepasst) als Kick verspürt. So wird man auf diesem Töff kaum in hohen Drehzahlen fahren, aber auch nicht Harley-mässig in tiefen Rumtuckern. Insofern glaube ich, kann man richtige Harleyaner kaum zu einem Markenwechsel bewegen, da kann auch der Sound nicht mithalten. Zurück im Geschäft gab ich die Maschine, nachdem wir noch ein paar Fotos geschossen hatten, wieder ab, ohne wirklich beeindruckt gewesen zu sein. Es haben schon viele, auch Honda, mit der VTX 1800, grosse Cruiser gebaut, die aber nie zu wirklich grossen Verkaufszahlen kamen. Ich traue es BMW zu, dass sie es besser können, aber nicht, weil sie so ein überzeugendes Produkt auf den Markt gebracht haben, sondern viel mehr, weil sie über ein unglaublich gutes Marketing haben. Die Zubehörliste ist enorm, sie führt von kleinen Chromteilen bis hin zu ganzen Rädern, dem Geldausgeben hat also kaum Grenzen. Insofern ist der Startpreis von Fr. 23'650.- (offiz. Preisempfehlung von BMW Motorrad Schweiz), laut motorradhandel.ch gibt es aber unter Fr. 26'000.- keine Angebote, und dies sind, wohlbemerkt, Vorführmaschinen mit wenig Kilometern |